Schatzstücke

Wer hat im Stift gearbeitet?

Mehr als nur eine Äbtissin - welche Ämter gab es in einem Damenstift?

Ämter eines mittelalterlichen Damenstifts

 

Im Mittelalter galt für Frauen die Lebensform in einer religiösen Gemeinschaft neben der Ehe als eine erstrebenswerte Verwirklichung von Lebensvorstellungen und –mustern, die von der spätantiken und frühmittelalterlichen patristischen Literatur idealisierend, ja ideologisierend überhöht wurde. Für Frauen aus den gehobenen sozialen Schichten wurde das Leben in einem adeligen Frauenstift als die adäquate Lebensform vor und nach der Ehe angesehen."

(Schilp, Norm und Wirklichkeit, S. 11f.)

 

Betrachtet man geistliche Gemeinschaften des Mittelalters, dann fällt auf, dass eine eindeutige Bestimmung, ob es sich bei dieser um ein Kloster oder ein Stift handelte, schwierig ist. Die in den Quellen verwendeten Begrifflichkeiten monasterium, coenobium oder ecclesia helfen bei der Identifizierung, gerade für die frühe Zeit, nicht weiter. Innerhalb der Forschung wird daher allgemein die Formulierung „Frauengemeinschaft“ oder „Frauenkommunität“ gewählt.

 

Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen einem Kloster und einem Stift?

Der Unterschied besteht darin, daß in einem Kloster Gelübde abgelegt werden, sein Leben in Keuschheit, Armut und Gehorsam zu verbringen. In einem Stift dagegen durften die Mitglieder eigenen Besitz und eigenes Personal habend; sie konnten die Gemeinschaft auch wieder verlassen, z. B. um zu heiraten.

(Küppers-Braun, Ute, Macht in Frauenhand, S. 16)

 

Das Leben in geistlichen Einrichtungen des Mittelalters unterlag einem festen Tagesablauf und einer festen Struktur. So gab es in den von der Außenwelt abgeschlossenen Lebensgemeinschaften eine innere, hierarchische Struktur.

In mittelalterlichen Damenstiften wie beispielsweise Quedlinburg, Gandersheim oder Essen lebten geweihte und nicht geweihte Mädchen sowie Frauen, die als Sanctimonialen bezeichnet werden. In diesen geistlichen Gemeinschaften erhielten sie ihre Erziehung und Ausbildung. Die Sanctimonialen mussten sich der institutionellen Hierarchie nicht nur ein-, sondern auch unterordnen. Mit dem Eintritt in die geistliche Gemeinschaft trafen die Frauen den willentlichen Entschluss, die Disziplinargewalt in die Hände der Vorsteherin (Äbtissin) zu geben. Die Grundlage für diese innere Stiftshierarchie bildete die Institutio sanctimonialium des Aachener Konzils von 816. In dieser findet sich die nachfolgend zu betrachtende Differenzierung in Äbtissin, praepositae und subiditae.

 

Die Äbtissin

Das Amt der Äbtissinnen beinhaltet ganz allgemein die Führungs- und Leitungsfunktion einer Frauengemeinschaft. Die Äbtissin hatte sowohl für das geistliche als auch das materielle Wohlergehen der ihr unterstellten Frauengemeinschaft Sorge zu tragen. Zugleich war sie auch das Vorbild für eine religiös-sittliche Lebensführung und galt somit den ihr anvertrauten Frauen als spiritualis mater.

Ihr war es vorbehalten, die Kommunität zu verlassen und diese nach außen zu vertreten, wenn es im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht für die Gemeinschaft notwendig war (bspw. Verwaltung von Besitz, Regelung der Beziehung zur Außenwelt, Verpflichtung zur Hoffahrt gegenüber dem Kaiser).

Da die Gründung vor allem frühmittelalterlicher Frauengemeinschaften in der Regel durch adelige Familien erfolgte, behielten sich die Gründerfamilien vor, das Amt der Äbtissin durch eine Frau aus ihren Reihen zu besetzen. Darüber hinaus war durchaus auch die „Wahl“ einer neuen Äbtissin durch die Gemeinschaft möglich.

Bei der Ausübung ihrer Aufgaben und Pflichten war die Äbtissin nicht auf sich allein gestellt. Ihr zur Seite standen die sogenannten honor prioratus – die praepositae.

 

Die praepositae

Die cellararia (Kellnerin)

Ihr oblag die Verwaltung der Lebensmittel. Um das Amt der cellararia zu erlangen, benötigten die Frauen moralische Integrität und Rechtschaffenheit des Charakters.

 

Die portaria (Pförtnerin)

Das Leben geistlicher Gemeinschaft des Mittelalters war von jenem der Außenwelt getrennt. Damit diese Trennung aufrechterhalten werden konnte, bedurfte es einer portaria. Voraussetzungen für das Amt waren auch hier die gleichen wie bei der cellararia – moralische Integrität und Rechtschaffenheit.

 

Die Kustodin

Eine wichtige Aufgabe der Kustodin bestand darin, zu den kanonischen Horen die Glocke zu läuten. Ihr oblag darüber hinaus die Aufsicht über die Kleinodien sowie liturgischen Geräte und die Fürsorge über den Wein und die Oblaten für die Meßzelebration. Auch die Beleuchtung des monasteriums (Kloster/-kirche, Münster) zählte zu ihren Aufgaben.

 

Die magistra (oder auch scholastica)

Die magistra wurde aus dem Kreis der Sanctimonialen auserwählt. Eine vorbildliche Lebensführung galt für dieses Amt als einzige erforderliche Qualifikation. Eine besondere Bildung sowie Kenntnisse waren demnach nicht explizit gefordert.

Die Aufgaben der magistra umfassten die Erziehung und Ausbildung der jungen Mädchen und Frauen der Gemeinschaft. Auch Jungen konnten sich unter den Schülern befinden. So berichtet Bischof Thietmar von Merseburg, dass er in Quedlinburg von seiner Tante Emnilde einen „[…] recht guten Unterricht […]“, erhalten hat (Thietmar von Merseburg, Chronik IV, 16).

Die wichtigsten Lernziele waren das Memorieren von Psalmen, die Unterweisung in den sacra disciplinae (Heilige Lehre), Lesen lernen, das Studium der sanctae scripturae (Heilige Schrift), dafür war die lateinische Sprache und der Grammatikunterricht unerlässlich, sowie die Vermittlung der klösterlichen Lebensweise. Innerhalb einer Gemeinschaft gab es zwangsläufig nicht nur eine magistra für die gesamte Gemeinschaft, sondern es konnten auch mehrere Frauen gleichzeitig dieses Amt bekleiden.

 

 

Zu diesen in der Institutio sanctimonialium ausdrücklich genannten Ämtern kamen weitere, die durch mittelalterliche Quellen belegt sind.

Die praeposita monasterii (Pröpstin)

Sie war die Stellvertreterin der Äbtissin und erteilte als erste ihre Zustimmung zu den von der Äbtissin beurkundeten Rechtsgeschäfte. Darüber hinaus oblag ihr die Leitung von Kapitelsitzungen (v. a. Wahlen) und die Aufsicht über den gesamten Stiftshaushalt.

 

Die decana (Dekanin)

Sie war für die Ordnung des Chordienstes zuständig und hatte die unmittelbare Disziplinaraufsicht über die Kanonissen und Stiftskleriker. Kam es zur Wahl einer neuen Äbtissin, oblag der decana die Leitung. Im Verlauf der Zeit entwickelte sich diese Position zu einer regelrechten Leitung des Kapitels.

 

Die subiditae

Als subiditae sind die Sanctimonialen der Frauengemeinschaften anzusehen. Sie bekleideten kein spezielles Amt. Bei diesen Frauen konnte es sich um junge Mädchen und Frauen handeln, die entweder für den geistlichen Lebensweg durch die patria potestas (väterliche Gewalt) bestimmt wurden oder freiwillig diesen gewählt haben. Aber auch ältere Frauen konnten in die Gemeinschaft eintreten. Zumeist war dies dann der Fallen, wenn sie verwitwet waren.

 

Für die Aufnahme in eine geistliche Gemeinschaft sah die Institutio sanctimonialium ein gestaffeltes Verfahren vor:

Zuerst wurde die jeweilige Anwärterin auf ihre Eignung hin von der Äbtissin geprüft. So wurde ihr der Text der Institutio sanctimonialium vorgelesen, „[…] da sie als künftige Sanctimoniale den moralisch-sittlich-geistlichen Postulaten der Normierung gerecht werden muß.“ (Schilp, Norm und Wirklichkeit, S. 74) Dabei wurde besonders Nachdruck auf das Keuschheitsgebot sowie die Abwendung von der Außenwelt gelegt. Auch die Selbstprüfung der Anwärterin vor dem Eintritt war ein wichtiger Bestandteil und sie musste vor der Aufnahme Verfügungen über ihren persönlichen Besitz treffen. Diese Ausführung betraf vor allem jene, die sich der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst waren. Da auch junge Mädchen in die Gemeinschaft aufgenommen werden konnten, warnt die Institutio sanctimonialium davor, dass diese nicht zu jung sein sollten.

Diesen Ausführungen zufolge wurden auch Kinder religiösen Frauengemeinschaften zur Erziehung anvertraut. Zum einen handelte es sich dabei um sogenannte Oblaten (Gott geweihte Kinder, bestimmt für ein religiöses Leben) und um Kinder, die nach der ihnen dort zugutegekommenen Ausbildung und Erziehung die Gemeinschaft wieder verließen, um in das weltliche Leben zurückzukehren. Die Warnung, nicht zu junge Mädchen aufzunehmen, findet sich bereits in der im 6. Jahrhundert von Caesarius von Arles verfassten Regula Virginium. Es wird eine Aufnahme „[…] ab annis sex aut septem […]“, folglich ab einem Alter von sechs oder sieben Jahren, empfohlen (Caesarii Arelatensis Episcopi, S. 7).

Die Institutio sanctimonialium bietet den Sanctimonialen die Möglichkeit, die Kommunität wieder verlassen zu können, was, wie Thomas Schilp feststellt, der gängigen Praxis der damaligen Zeit entsprach (Schilp, Norm und Wirklichkeit, S. 75f.). Erst wenn das jeweilige Mädchen bzw. Frau bewusst den Schleier nahm, d. h. zur Kanonissin geweiht wurde, wählte sie den geistlichen Lebensweg.

 

Männer in mittelalterlichen Damenstiften

Auch Männer waren Teil einer mittelalterlich-geistlichen Frauengemeinschaft. Sie übernahmen vor allem die Erfüllung seelsorgerischer Aufgaben und verrichteten die gottesdienstlich-liturgischen Funktionen. Ein Verzicht auf männliche Geistliche war nicht möglich, da nur diese der Eucharistiefeier vorstehen konnten.


 

Quellen:

S. Caesarii Arelatensis Episcopi, Regula Sanctarum Virginum aliaque opuscula ad sanctimoniales directa, ed. v. Germanus Morin OSB, Bonn 1933 (Florilegium Patristicum tam veteris quam medii aevi auctores complectens 34)

Institutio sanctimonialium Aquisgranensis, ed. Albert Werminghoff, Hannover 1906, S. 307 – 466 (MGH Conc. 2/1)

Thietmar von Merseburg, Chronik, neu überarbeitet und erläutert von Werner Trillmich, 9. Bibliographisch aktualisierte Auflage 2011 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 9)

 

Literatur:

Bärsch, Jürgen, Die Essener Münsterkirche als Ort des Gottesdienstes, in: Berghaus, Günter / Schilp, Thomas / Schlagheck, Michael (Hg.), Gerrschaft, Bildung und Gebet. Gründung und Anfänge des Frauenstifts Essen, Essen 2000, S. 71 – 86

Bodarwé, Katrinette, Sanctimoniales litteratae. Schriftlichkeit und Bildung in den ottonischen Frauengemeinschaften Gandersheim, Essen und Quedlinburg, Münster 2004(Quellen und Studien 10)

Küppers-Braun, Ute, Macht in Frauenhand. 1.000 Jahre Herrschaft adeliger Frauen in Essen, 4. Auflage, Essen 2008

Schilp, Thomas, Der Kanonikerkonvent des (hochadeligen) Damenstifts St. Cosmas und Damian in Essen während des Mittelalters, in: Crusius, Irene (hrsg.), Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland, Göttingen 1995, S. 169 – 231 (Studien zur Germania Sacra 18)

Schilp, Thomas, Norm und Wirklichkeit religiöser Frauengemeinschaften im Frühmittelalter. Die Institutio sanctimonialium Aquisgrannensis des Jahres 816 und die Problematik der Verfassung von Frauenkommunitäten, Göttingen 1998 (Studien zur Germania Sacra 21)

Texte von Dr. Christoph Winterer (Kurator) von der Ausstellung „Der Klang der Frauen“ vom 1. Juni 2014 bis 24. August 2014 in der Stiftskirche St. Servatii zu Quedlinburg

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