Königslandschaft
Die mittelalterliche Königslandschaft umfasste neben Pfalzen, Königshöfen und Reichsburgen auch Bischofssitze und Reichsabteien, die nicht einheitlich über das gesamte Reich verteilt waren und die von königlichen Aufenthalten relativ gleichmäßig frequentiert wurden. Mit der Königswahl Heinrichs I. im Jahre 919 in Fritzlar verlagerte sich die Königslandschaft in den sächsischen Raum. Hier hatte die Herzogsfamilie der Liudolfinger, welcher Heinrich entstammte, umfangreiche Besitzungen. Zusammen mit dem karolingischen Reichsgut, das ihm bei seiner Königswahl zufiel, baute er den Harz-Elbe-Saale-Unstrut-Raum zu einer neuen Königslandschaft aus.
Die Frühzeit des Quedlinburger Stiftsberges
Der heutige Schlossberg, eine Substruktion mit Auffüllungen, weist eine Länge von 100 m und eine Breite von 50 m auf. Quedlinburg findet erstmals in einer Urkunde Heinrichs I. vom 22. April 922 Erwähnung, welche für das Kloster Corvey ausgestellt wurde (D H I 3).
Das Areal des Schlossberges wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt besiedelt. Archäologische Untersuchungen haben Spuren aus der Eiszeit (Feuersteinklingen), der Jungsteinzeit (Kellergruben, Gefäße der Band- und Schnurkeramik), der Bronzezeit (eine Steinmauer mit Lehmpackung als Umwallung sowie Scherben, Gefäße und Wohngruben) und eines Steinerdbaus, der um 500 entstand, freigelegt.
Die Pfalz Heinrichs I.
Über die Lage und das Aussehen der Pfalz wurde und wird in der Forschung viel diskutiert. Entsprechend der Urkunde Heinrichs I. von 922 ist anzunehmen, dass diese in einem Königshof (villa) ausgestellt worden ist. Wo sich dieser genau befunden hat, ist nicht überliefert. Es ist davon auszugehen, dass sich der zur Pfalz gehörende Wirtschaftshof im Bereich der heutigen Wipertikirche befunden hat. Hier war genügend Raum für die notwendigen Acker- und Weideflächen vorhanden. Die weiteren Pfalzbauten (Pfalzkapelle, palas und Wohngebäude) werden auf dem Schlossberg vermutet.
Mit der Stiftsgründung 936 und der Ansiedlung eines Damenkonventes unter der Leitung der Königin Mathilde wurde die Pfalz in den Bereich des Wirtschaftshofes verlegt.
Die ersten Bauten auf dem Schlossberg – palas und Pfalzkapelle
Bei archäologischen Untersuchungen auf dem Schlossberg wurden Spuren von zwei einzeln stehenden Bauwerken gefunden: Der erste, ein Kirchenbau, wird auf das erste Drittel des 10. Jahrhunderts datiert. Dabei handelte es sich um einen kleinen, dreischiffigen Kirchenbau mit quadratischem Grundriss und einer Ostapsis, der sich einst im östlichen Bereich der heutigen Krypta befand. Westlich von dieser etwa 10 x 10 m großen Kirche erstreckte sich ein 27,5 m langer, rechteckiger Saalbau. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei diesem Gebäude um die erste Kirche auf dem Schlossberg handelte. In dieser kleinen Kirche wurde Heinrich I. 936 beigesetzt. Daran könnte sich dann der sogenannte palas (Regierungssaal) der ehemaligen Quedlinburger Pfalz als eigenständiger Bau angeschlossen haben.
Die Erweiterung der Pfalzkapelle zur Stiftskirche – die erste Erweiterung (Bau 2)
Mit der Erhebung der Pfalzkapelle zur Stiftskirche im Jahr 936 erfuhr der erste Kirchenbau nicht nur die Einrichtung eines Damenstiftes, sondern es werden auch die ersten baulichen Veränderungen vorgenommen worden sein. In der Zeit der Königinwitwe Mathilde, welcher die ersten baulichen Veränderungen zugeschrieben werden können, wird die sogenannte Confessio in den Felsen unterhalb des Altars in der Ostapsis eingetieft. Die genaue Funktion dieses Raumes lässt sich aufgrund der besonderen Gestaltung (halbkreisförmig und mit Nischen versehen) und Maße nicht mehr eindeutig nachvollziehen. Vermutet wird, dass zum einen die Nischen einst mit Reliquien versehen waren und dass man zum anderen durch die Nähe dieser zu den Verstorbenen sich der Fürsprache der Heiligen bei Gott vergewissern wollte. Im 19. Jahrhundert ging man davon aus, dass es sich bei der Confessio um eine Krypta unter dem Hauptaltar handelte und darüber hinaus diese Anlage Besuchern die Möglichkeit bot, einen Blick in die Heinrichsgruft zu werfen.
„Als sie [Äbtissin Mathilde] sah, daß diese Kirche [...] für die Masse des zuströmenden Volkes und im Verhältnis zu ihrer hohen Bedeutung zu eng war, da bemühte sie sich [...] einen Tempel von weiterem und höherem Bau hinzusetzen [...].“ Diese Schilderung in den Quedlinburger Annalen zum Jahre 997 weist darauf hin, dass es unter der Äbtissin Mathilde von Quedlinburg eine bauliche Veränderung des Kirchenraums gegeben hat. Die Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen lassen eine Erweiterung der Pfalzkapelle und der ersten Stiftskirche durch den Einzug eines quergelagerten Flügels im westlichen Bereich erkennen. Vermutlich wurde auch eine Verbindung zum sich im Westen befundenen Saalbau hergestellt. Damit entstand eine Verlängerung des Kirchenraums auf 52 m.
Die Stiftskirche der Äbtissin Adelheid I. (Bau 3)
Die Quedlinburger Annalen berichten zum Jahr 1021 von einer Weihe der Stiftskirche, bei der das Kaiserpaar Heinrich II. und Kunigunde anwesend waren. Ob die Weihe aufgrund von fertiggestellten Baumaßnahmen erfolgte oder aus einem anderen Grund, ist den mittelalterlichen Quellen nicht zu entnehmen.
Die archäologischen Untersuchungen haben ergeben, dass das Lang- und das Querhaus zu einem späteren Zeitpunkt (nach dem Jahr 1000) noch einmal erweitert wurden. Mit der Vollendung wies die Stiftskirche dann die heutigen Dimensionen auf. Der Bereich des ersten Stiftskirchenbaus wurde mit einer Überkirche überbaut und erhielt damit bereits den Charakter einer Krypta.
Der Wiederaufbau der Stiftskirche (Bau 4 ?)
Der Annalist Lampert von Hersfeld schrieb zum Jahr 1070: „Das hochwürdige Münster in Quedlinburg geriet mit allen Nebengebäuden [...] in Brand und wurde vollständig eingeäschert.“ Die archäologischen Untersuchungen im Schlossbergbereich erbrachten bei bisherigen archäologischen Untersuchen keine Hinweise auf Brandspuren in diesem Bereich. Ob sich der Brand auf einzelne Gebäudeteile oder den gesamten Schlossberg bezog, kann nicht abschließend entschieden werden. Fest steht, dass der Kirchenraum 1129 noch einmal geweiht wurde und diese Kirche hat bis heute Bestand.
Grablege Heinrichs I. in Quedlinburg
Sächsische Sakraltopographie im 9. bis 11. Jahrhundert / Gründung von Frauenkommunitäten
Im mittelalterlichen Sachsen gründeten vom 9. bis zum 11. Jahrhundert adelige Familien fast ausschließlich geistliche Frauenkommunitäten und statteten diese mit entsprechendem wirtschaftlichen Besitz aus. Diese Gründungen waren ein Zeichen der sozialen sowie politischen Stellung und dienten der Herrschaftskonsolidierung und Repräsentation. Die wichtigste Aufgabe dieser geistlichen Kommunitäten war die Pflege der Memoria sowie des Seelenheils für die Gründerfamilie, ihrer Verwandten und Freunde. Darüber hinaus dienten Familienstiftungen sowohl als Rückzugsort für Witwen der Familie als auch der Erziehung der adeligen Töchter.
Gründung des Damenstifts in Quedlinburg
König Heinrich I. überschrieb am 16. September 929 seiner zweiten Frau Mathilde die Ortschaften Quedlinburg, Pöhlde, Nordhausen, Grone und Duderstadt als Wittum. Den Lebensbeschreibungen der Königin zufolge soll das Herrscherpaar die Absicht verfolgt haben, in Quedlinburg, der Lieblingspfalz des Königs, eine geistliche Einrichtung zu gründen, welche mit Nonnen aus dem Kloster Wendhausen (Thale) besetzt werden sollte. Mit dieser Gründung wandte sich Heinrich von der eigentlichen Familiengrablege in Gandersheim ab. Dies kann als bewusstes Zeichen der neuen und zugleich besseren sozialen und politischen Stellung der liudolfingischen Familie gewertet werden. Heinrich selbst konnte auf einem Hoftag in Erfurt lediglich noch die Zustimmung der Wendhäuser Äbtissin einholen, verstarb allerdings noch vor der Erhebung der Quedlinburger Pfalzkapelle zum Damenstift am 2. Juli 936 in Memleben. Der Leichnam des Königs wurde nach Quedlinburg überführt und dort vor dem Altar bestattet.
Am 13. September 936 bestätigte der Sohn Heinrichs I., König Otto der Große, die von seinem Vater und seiner Mutter vorangetriebene Gründung und die Eigentumsrechte des Quedlinburger Damenstifts. Zugleich stellte er dieses unter den direkten königlichen und 948 unter päpstlichen Schutz. Mit den Worten „[...] pro remedio animae nostrae atque parentum successorumque nostrorum [...]“ (D O I 1) hält Otto die Aufgabe der geistlichen Frauengemeinschaft fest: Sie sollte für das Seelenheil seiner Vorfahren und Nachfolger Sorge tragen. Somit erhielt die Pflege der Memoria das oberste Primat. Die Leitung dieser Frauengemeinschaft übernahm die Königinwitwe Mathilde selbst. Sie stand der Gemeinschaft 32 Jahre vor. 966 wurde die elfjährige Tochter Ottos des Großen und Enkelin Heinrichs I. erste Äbtissin des Quedlinburger Damenstifts. Wie die Königinwitwe trug auch sie den Namen Mathilde. Bis zum Tode ihrer Großmutter wird die junge Äbtissin in den wesentlichen Aufgaben der geistlichen Gemeinschaft unterwiesen und für das Amt der Äbtissin vorbereitet worden sein. Mit dem Tod der Königinwitwe am 14. März 968 übernahm sie dann die Leitung des Quedlinburger Damenstifts.
Die Äbtissinnen als geistliche und weltliche Herrinnen
Die Bedeutung des Quedlinburger Damenstiftes wird nicht nur im Status als kaiserlich-freiweltliche Einrichtung sowie als memorialer Gedächtnisort für den ersten ottonischen König, sondern auch durch die Rolle der Äbtissinnen im weltlichen und geistlichen Geschehen ihrer Zeit deutlich.
Als Äbtissinnen standen nicht nur der eigenen geistlichen Gemeinschaft vor, sondern waren zugleich auch Repräsentantinnen der königlich-kaiserlichen Herrscherhäuser, da sie diesen Familien entstammten. In erster Linie vertraten sie die Angelegenheiten des Quedlinburger Damenstiftes. So gründeten die Äbtissinnen Klöster, z. B. St. Marien auf dem Münzenberg in Quedlinburg oder St. Michaelis in Blankenburg und vermehrten den Besitz des Stiftes durch den Erwerb von verschiedenen Besitzungen. Aber auch im politischen Bereich waren sie aktiv. So war Äbtissin Mathilde in den Jahren von 997 bis 999 für ihren Neffen Otto III., der zu dieser Zeit in Italien weilte, Reichsverweserin und hielt nicht nur einen Hoftag in Derenburg ab, sondern saß diesem auch vor. Diese Aufgaben wurden sonst nur von Männern aus der Familie des Herrschers zuteil. Mathilde nahm die politische Rolle einer domina imperialis (weltliche Herrin) ein, indem sie mit den Herrschern durch das Reich reiste und ihnen zur Seite stand. Aber auch die nachfolgenden Äbtissinnen nahmen Platz in der politischen Welt: So ergriffen sie Partei bei Thronfolgestreitigkeiten oder traten als vermittelnde Parteien auf. Die Quedlinburger Äbtissin hatte sogar bis zur Auflösung des Stifts 1804 einen Sitz sowie Stimmrecht im Reichstag. Somit traten diese geistlichen Frauen dem Adel auch als weltliche Herrinnen entgegen. Das entstandene Selbstbewusstsein repräsentieren bis heute unter anderem die Grabplatten dieser Frauen in der Krypta der Stiftskirche und der Ausbau zum sogenannten Quedlinburger Schloss.
Memoria
Die mittelalterliche Form der Memoria (lat. Erinnerung, Gedächtnis) hat ihren Ursprung im heidnisch-antikem Brauch des Totenmahls, d. h. am Grab des Toten wurde von der Familie und den Verwandte ein Gedenkmahl abgehalten und der Tote als Teilnehmer wahrgenommen wurde. So weite man ihm Gaben, ließ einen Trunk in das Grab fließen und es wurde den Göttern geopfert. Dabei handelte es sich um karitative Leistungen.
Diese Form des Totenmahls am Grab des Verstorbenen wandelte sich im christlichen Gebrauch zu einer eucharistischen Mahlfeier (liturgische Danksagung) um, bei welcher die Fürbitte für den Toten im Wortgottesdienst erfolgte. Diese bestand aus zwei Teilen: der Fürbitte (lat. oratio fidelium), welche in der Regel ohne die Namensrezitation erfolgte, und die Feier des Abendmahls mit Namensnennung. Diese Art der Erinnerung Verstorbener bezog zugleich lebende, jedoch abwesende Personen ein. Die Namen von zu kommemorierenden Personen wurden in sog. Nekrologien (Totenverzeichnis) oder Libri vitae (Buch der Lebenden) verzeichnet. Diese basierten wiederum auf Martyrologien (Verzeichnisse von Märtyrern und Heiligen) und Kalendarien (Verzeichnisse kirchlicher Fest- und Gedenktage). Sie erweiterten das Totengedenken der Struktur nach auch zu einem Heiligengedenken.
Mit der Übernahme des heidnisch-antiken Totenmahls erfolgte auch jene des Totengedächtnistages: Dieser wurde am 3., 7. (9.) und 30 (40.) Tages nach dem Tod sowie des Jahrestages, an dem für den Toten dem Brauch entsprechend eine Totenmesse als Votivmesse gehalten wurde.
Die Namensnennung ließ die Toten gegenwärtig werden und spiegelte die Sorge um das Seelenheil wieder, welche ein wichtiger Bestandteil der mittelalterlichen Gesellschaft war. Das Vergessen sollte auf diese Art überwunden werden.
Die Aufgabe der Memoria für Verstorbene und Lebende war den geistlichen Institutionen anvertraut. Um dieser wichtigen Aufgabe nachzukommen, erhielten diese Einrichtungen zur Existenzsicherung Schenkungen (bspw. Ländereien, Kerzen, Nahrung, Kleidung etc.). Dadurch entstand ein wechselseitiges Nutzenprinzip, bei dem die materielle Gabe die Gemeinschaft unterstützte und die spirituelle Gegengabe (Gebet und Fürbitte) die Privatperson stärkte. Damit wurde Fürsorge sowohl für das eigene Seelenheil als auch das anderer Menschen getragen, worin der karitative Gedanke Ausdruck findet. Auch Arme konnten als Fürsprecher für das Seelenheil fungieren.
Bildnachweis
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Quellenangaben
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Lampert von Hersfeld, Annalen, neuübersetzt von Adolf Schmidt und erläutert von Wolfgang Dietrich Fritz, mit einer aktualisierten Bibliographie von Gerd Althoff, 4. biographisch aktualisierte Auflage 2011, S. 125 (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 13)
Die Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde. Vita Mathildis reginae antiquior – Vita Mathildis reginae posterior, ed. Bernd Schütte, Hannover 1994 (MGH Script. rer. Germ. 66)
Übersetzung: Das Leben der Königin Mathilde, ed. Philipp Jaffé, Reprint der 2. Auflage von 1891, 1. Auflage, Paderborn 2011 (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 10. Jahrhundert Bd. 4)
Die Urkunden Heinrichs I., ed. Theodor von Sickel, Hannover 1884 (MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae 1)
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Literaturangaben
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