Schatzstücke

Die Entwicklung der Orgeln in der Stiftskirche - ein Überblick

Wenn man die Geschichte der Orgeln in der Stiftskirche mal querliest, bekommt man das Gefühl, dass es nie keine Diskussionen um Baumaßnahmen an der Orgel gab.

„ Zu Quedlinburg im Dome

Ertönet Glockenklang,

der Orgel Stimmen brausen

zum ersten Chorgesang.“

 

Wenn man die Geschichte der Orgeln in der Stiftskirche mal querliest, bekommt man das Gefühl, dass es nie keine Diskussionen um Baumaßnahmen an der Orgel gab.

 

Um die Diskussionen einzordnen, die damals um die aktuelle Orgel geführt worden sind, schauen wir kurz einmal in die Geschichte der Orgeln der Stiftskirche. Für den Überblick habe ich sie mal vorsichtig nummeriert.

 

 

Die Orgeln I, II und III

 

Unter der Äbtissin Anna II wurde vor 1574 eine kleine Orgel I gebaut.

 

Diese wurde bereits 1597 unter Anna III „sehr verbessert“ – diese gilt als Orgel II. Diese beiden Orgeln werden rückblickend vor dem Zitter verortet.

 

Ab 1617 fand dann bereits eine sehr umfangreiche Reparatur und Erweiterung statt, so dass man von einer neuen Orgel sprach – Orgel III – ebenfalls vor dem Zitter verortet.

 

Innerhalb von rund 60 Jahren hat man also drei Orgeln gebaut. Vorher gab es vermutlich auch schon Orgeln hier in der Stiftskirche, dazu ist die Quellenlage aber zu unklar.

 

 

 

 

Die Orgel IV

 

Recht viele Quellen hat man zur Orgel IV von 1685.

 

Im Jahr 1677 wurde ein Neubau beschlossen und von Äbtissin Anna Sophie beauftragt. Sie starb 1680 und konnte die Fertigstellung nicht mehr erleben. Durch diesen Wechsel auf der entscheidenden Ebene geriet das Projekt ins Stocken. Kantor, Organist und Aedilis mussten sich miteinander ins Benehmen setzen, was nicht einfach war, da verschiedene Motive aufeinander prallten.

Zudem gab es ein Raunen in der Bürgerschaft. Es war mehrere Jahre lang Kollekte für diese Orgel IV gesammelt worden, ohne dass man Ergebnisse sah.

 

Und als sie dann fertig war, meldet der Organist Unzufriedenheit mit der Disposition an und klagt über mehrere „Defecta“, die der Orgelbauer aber nicht mehr beheben wollte. (letzterer verließ nach Anklage sogar die Stadt! Der Organist war kein geringerer als Andreas Werckmeister – Sie erinnern sich vielleicht an das wohltemperierte Klavier. Er war als reiner Domorganist angestellt und hinterließ Aufzeichnungen in der Orgel, die uns diese Geschichte erzählen.

Insgesamt ein empörender Prozess. Draußen regierte zugleich die Pest, was alle bekanntermaßen sehr einschränkt.

 

Diese Orgel IV stand dann auf einer eigenen hölzernen Empore im Westen des Mittelschiffs – wohlgemerkt zusätzlich zur Orgel III von 1617. Letztere hielt sich dann aber nicht mehr lange – 1704 stand nur noch das Gehäuse und man brachte Teile der Bibliothek darin unter.

 

 

 

Auflösung des Stifts und Orgel V

 

1802 wurde das Stift aufgelöst, die Kirche wurde zur Gemeindekirche gemacht. 1812 gelangt sie sogar per Königlich Westfälischem Dekret ins Eigentum der Gemeinde, samt Orgel, Glocken, Turm, Uhr und allem beweglichen Inventar.

 

Eine Erneuerung der Orgel kündigte sich ab 1834 an. Allerdings fehlte jahrelang die Finanzierung und man diskutierte über Machart und Standort – wieder das gleiche Spiel. Die Einweihung dieser neuen Orgel V war dann 1838. Standort wieder auf der hölzernen Empore im Mittelschiff. Blasebalge auf der romanischen Empore.

 

 

 

Orgel VI

 

In der umfassenden Restaurierung der Stiftskirche in den 1860er Jahren, die uns den Großteil der heutigen Optik der Kirche bescherte, wurde auch die Orgel V erneut verändert und ersetzt.

 

Von 1862 an wurde dabei über den Standort diskutiert. Im Querhaus oder in der Westempore. Organisten und Orgelbauer plädieren für das Querhaus. Die Denkmalpflege mal für die Westempore mal für das Querhaus, bis dann 1865 der preußische Kronprinz gern eine „Kaiserloge“ im Zitter haben möchte… Weshalb dann die Orgel VI in die Westempore wich und 1867 dann endlich fertig war. Diskussionen, wie sie immer wieder auftreten, auch heute noch.

 

Zudem wird die Finanzierung mal wieder interessant: Aufgrund des Staatvertrags von 1854 musste nun die königliche Regierung die Kosten tragen. Daher wurde der Einbau einer neuen Stimme und die Anschaffung einer pneumatischen Maschine einfach verboten um Kosten zu sparen.

 

 

 

 

 

Orgel VII

 

1911, also keine 60 Jahre später, begann man mit Verhandlungen über einen Orgelneubau um neue musikalische Möglichkeiten zu schaffen. Dieses Mal dauerte die Diskussionsphase bis 1916, die Bauphase mit Abstimmungen bis 1920. Den Hauptanteil der Finanzierung trug die Staatskasse, etwa 20% der Kosten wurden von der Gemeinde übernommen.

Ab 1920 können wir im Grunde Orgelbau Nr. VII zählen, Standort wieder Westempore.

 

In der Zeit von 1938 bis 1945 musste die Domgemeinde auf die Blasiikirche ausweichen. Die Orgel VII in der Stiftskirche wurde in dieser Zeit nicht oder zumindest nicht bekannt gespielt – und entsprechend nicht gewartet. Nach 1945 gab es viele Schäden am Gebäude und der Orgel und entsprechend wenig Nutzung derselben, so dass diese dann 1956 als unspielbar eingestuft wurde und sogar 1960 für 1500 M verkauft worden war. Die Westempore war nun wieder leer, Orgel VII war weg.

 

Und es wurde diskutiert: Man wolle die Orgel aus der Westempore entfernen – sie störe das Denkmal, so dass die „…Empore zwischen den Türmen […] durch einen unförmigen Orgeleinbau größtenteils verstellt ist.“ (Hieke 1941). Tatsächlich suchte man wieder eine Entscheidung des Staats, Himmler sollte entscheiden, was mit der Orgel passiert, aber 1943 sah er sich für Orgelfragen nicht mehr zuständig. So blieb die Orgel VII bis 1960 in der Westempore, sehr zur Unbill der Denkmalpflege.

 

 

 

 

Orgel VIII – Schuke 1971

 

Nun endlich kommen wir zur heutigen Orgel VIII, deren Geschichte deutlich über die 50 Jahre hinaus geht:

 

Bereits im Oktober 1959 beschloss der Gemeindekirchenrat die Wiederherstellung bzw. den Neubau einer Orgel in der Stiftskirche.

 

Ab 1960 fanden Verhandlungen um Standort, Art und Weise des Aufbaus, Akustik und auch Optik der Orgel statt. Als Diskussionspartner traten Denkmalschützer, Geldgeber, Kirchengemeinde, übergeordnete kirchliche und staatliche Dienststellen, Organisten, Prospektarchitekten und letztlich Orgelbaumeister an.

 

Besonders verdienstreich ist hier Orgelbaumeister Hans Joachim Schuke, der in der gleichen Zeit, in der für Quedlinburg diskutiert wurde, 115 Orgeln in DDR, BRD und anderen Ländern baute.

 

Warum war das so schwierig?

Der Vertrag von 1854 machte die Kirche zum Staatseigentum – weshalb für die entscheidenden Stellen in der DDR die Stiftskirche zum Baudenkmal wurde und weniger zum Ort gelebten Glaubens. Eine Diskussion, die wir heute nach wie vor führen.

 

In der Zeit von 1960 bis 1969 wurden allein 7 Entwürfe für das Orgelprospekt diskutiert und verworfen. Schwierig ist das, weil Form und Ort des Prospekts den weiteren Aufbau der Orgel regeln.

 

Zudem wurde verhandelt über Klangvolumen, Anordnung der Werke, Prospektgestaltung, Pfeifenmaterial, den Standort der Orgel und natürlich: die Finanzierung.

 

Immer wieder wurde ein Orgelbau in der Westempore aus klanglichen und architektonischen Gründen und im Hohen Chor ebenfalls aus architektonisch-denkmalpflegerischen Gründen verworfen.

 

Als man sich endlich einigte, kam es zur Umsetzung einer Empfehlung, die bereits 1950 erstellt worden war: Durch einen Orgelbaumeister und zwei Kirchenmusikdirektoren war ein Gutachten erstellt worden, dass die akustisch beste Position „über dem Zitter“ im Hohen Chor ausmachte. Wir erinnern uns – dort standen schon mal die Orgeln I, II und III.

 

Zwischen 1950 und 1970 gab es allerdings eine weitere bedeutende Veränderung – der Einbau der südlichen Schatzkammer, welche dann aufgrund ihrer jüngeren Substanz besser geeignet ist, den Orgelkörper zu tragen.

 

Die Form der Orgel entstand durch Herrn Fritz Leweke aus Halle – eine klare Gestaltung, die den inneren Erfordernissen des Orgelbaus folgt ohne zuviel hinzu zu fügen. Baubeginn war 1970, Fertigstellung 1971.

 

Am 23. September 1971 gelangte die Abschlussrechnung von Schuke an die Domgemeinde: rund 85.000 Mark, von denen der Staat 10.000 Mark übernommen hatte, waren fällig. Dazu kamen diverse Nebenkosten, so dass die Domgemeinde letztlich 81.500 M übernommen hatte.

 

Am 10. Oktober 1971 feiert die Domgemeinde die neue Orgel der Firma Schuke – quasi den nullten Geburtstag.

 

 

Unbedingt zu erwähnen in dem ganzen Prozess ist Arno Bartel. Als Kind erblindet wurde er mit 24 Jahren Domorganist in Quedlinburg und hatte bis 1980 diese Stelle inne. Auf ihn folgte direkt Kirchenmusikdirektor Gottfried Biller und nun in dessen wohlverdienten Ruhestand seit 2017 Markus Kaufmann, den wir heute an der Orgel hören dürfen.

 

 

Natürlich fanden und finden immer wieder Instandsetzungen, Wartungen und das Orgelstimmen statt. Kurios sind dann Fälle wie im Jahr 1980 als die Gemeinde den Diebstahl zweier Orgelpfeifen meldet – in der DDR konnte man immer alles irgendwie gebrauchen.

 

Im Jahr 1991 spielte Christine Kunze am 01. August ein Gastkonzert auf der Schuke-Orgel. Heute ist sie bekannt als Christine Bick - ein fester Bestandteil des musikalischen Gemeindelebens.

 

Es gäbe noch viel zu erzählen vom „flinken Manual“ der Schuke Orgel, um einen Domorganisten aus Bamberg zu zitieren, hier in der Stiftskirche. Selbst meine in dem Moment achtjährige Tochter konnte mich hier schon in der Weihnachtszeit mit einem Lied begeistern.

 

Nun haben wir im laufenden Jahr ein neues Register eingebaut:  „Oboe 8‘“ – angefangen wurde damit im November 2020 und in diesem Jahr 2021 fertig gestellt. Man sieht – gut Ding will Weile haben. Verglichen mit der Dauer vergangener Umbauten ist das nahezu flink.

 

 

Schließen kann man mit einem Zitat aus einer Zeitung von 1991:

An einem „kühlen Oktoberabend“ fand ein Konzert mit 150 Besuchern zum 20. Geburtstag der Orgel statt. Musiker Christoph Mehnert aus Hamm in Westfalen spielte zum ersten Mal an dieser Orgel und schätzte nüchtern ein: „Es ist kein schlechtes Instrument. Für das Jahr 1971 sogar recht gut.“

 

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