Wer möchte nach seinem Tod vergessen werden?
Ein König sicher nicht. Welche Gründe Heinrich I. genau hatte, um ausgerechnet in Quedlinburg seine Grablege zu bestimmen werden wir nicht klären können. Was man sagen kann, ist, dass durch die Festlegung des Grabortes auch festgelegt wurde, an welchem Ort gebetet und sich erinnert werden soll. Mit der Festlegung des Grabes wurde also ein zentraler Ort für die Nachfahren Heinrichs I. geschaffen, ein wichtiger Ort für seine Familie und Nachfolger. Ein Erinnerungsort für einen König, ein Ort, an dem die königliche Familie zusammentrifft und auch Treffen mit anderen Herrschenden stattfinden. Ein Ort, der die Herrschaft der Familie festigt und symbolisiert.
Für diesen Zweck wurde eine kleine Kirche auf einem Quedlinburger Hügel umgebaut und erweitert.
Das Quedlinburger Stift wurde nach dem Tod Heinrichs I. im Jahr 936 gegründet um die Erinnerung an Verstorbene aus der Familie Heinrichs I. zu erhalten. Ein Stift ist eine ähnliche Einrichtung wie ein Kloster. Es wurde von weltlichen Herrschenden (hier die Königsfamilie) gegründet bzw gestiftet für einen geistlichen Zweck – das Totengedenken. Ein Stift ist wie eine Art geistliche Schule zu verstehen, aus dem man nach einer gewissen Ausbildungszeit wieder austritt. In ein Kloster trat man in der Regel auf Lebenszeit ein. Das Stift in Quedlinburg wurde reich mit Ländereien ausgestattet, die es mit Lebensmitteln und Geld versorgen sollten. Die Stiftskirche bekam viele Reliquien und Kostbarkeiten um ihre hohe Bedeutung für die königliche Familie zu unterstreichen.
Das Totengedenken, auch Memoria genannt, schloss über Heinrich und Mathilde hinaus noch weitere Personen mit ein, für die im Stift gebetet wurde. Die Gebete für die Verstorbenen wurden unter anderem in der Krypta der Stiftskirche gesungen und gesprochen.
Krypta – das heißt „verborgen“. Es ist ein Raum, der hinter oder unter dem Altarraum zu finden ist, meist recht dunkel und etwas tiefer. Der Raum wirkt erdverbunden und damit im Gefühl näher an den Toten. In der Krypta der Stiftskirche finden wir neben anderen die Grablege von Heinrich I. und der Heiligen Mathilde – dem ersten sächsischen Königspaar aus der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts.
Die Krypta der Stiftskirche steht auf den Grundmauern der ersten kleinen Kirche, die sich auf dem Stiftsberg befunden hat. Die heutige große Kirche wurde über diesen Raum hinweg gebaut, so dass sich eine recht große Halle mit Säulenreihen als Krypta ergeben hat.
In diesem besonderen Raum finden wir Grabplatten der Äbtissinnen, also der Frauen, die das Stift einst geleitet haben. Eine Besonderheit dieser Grabplatten ist, dass die Frauen als Figuren dargestellt wurden. Eine Ehre, die sonst nur den Herrschenden vorbehalten war. Das zeigt den hohen Rang, den das Damenstift innehatte.
Die Decke der Krypta wurde reich bemalt und erinnert an biblische Geschichten, die von Tugenden erzählen sowie an die unmittelbaren Nachfahren Heinrichs I.
Auch heute spielt die Erinnerungskultur eine große Rolle. Der Tod rückt einerseits immer mehr an den Rand der Gesellschaft, andererseits ist das Erinnern an Verstorbene ein fester Bestandteil des Alltags.
Heinrich I. und die Heilige Mathilde, seine Frau, haben weiterhin einen festen Platz in der Erinnerung. Dieses Königspaar ist zumindest in Quedlinburg nach wie vor ein wichtiges Thema. Jährlich finden an den jeweiligen Todestagen, für Mathilde am 14. März und für Heinrich am 2. Juli, Andachten statt – feste Bestandteile der Quedlinburger Tradition.